Der Odysseus-Komplex by Johannes Becker Clemens Fuest

Der Odysseus-Komplex by Johannes Becker Clemens Fuest

Autor:Johannes Becker, Clemens Fuest
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Carl Hanser Verlag
veröffentlicht: 2017-02-20T16:00:00+00:00


Schuldenkontrolle vereinfachen

Die Kontrolle der Staatsschulden steht nach Ausbruch der Krise ganz oben auf der Agenda der Mitgliedstaaten. In mehreren Schritten wird der Stabilitätspakt erweitert und verschärft. Mitte Dezember 2011 tritt das Sixpack in Kraft, ein sechsteiliges Gesetzeswerk, dessen vier erste Teile den Stabilitäts- und Wachstumspakt des Maastricht-Vertrags ergänzen. Im Wesentlichen werden die Verfahren zur Überwachung und Sanktionierung der Haushaltspolitik gestrafft und vereinheitlicht. Ende Mai 2013 kommt ergänzend das Twopack hinzu, erneut zwei Verordnungen, die unter anderem vorschreiben, dass die nationalen Regierungen ihre Haushaltsentwürfe vor der Parlamentsdebatte von der EU-Kommission auf ihre Regeltreue prüfen lassen müssen. Anfang des gleichen Jahres ist der Europäische Fiskalpakt in Kraft getreten, in dem sich die EU-Staaten verpflichten, eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild in der Verfassung zu verankern (oder gleichrangig im nationalen Recht zu implementieren).

Sixpack, Twopack, Fiskalpakt – alle drei Maßnahmen umfassen Vorschriften, Verfahren, Fristen und dergleichen, und es ist selbst für Insider schwer, den Überblick zu behalten. Überdies sind, wie in solchen europäischen Verordnungen üblich, die Formulierungen vage gehalten. Es ist kaum möglich, etwas Belastbares und Berechenbares zu finden, selbst in den scheinbar konkreter werdenden Formulierungen. So heißt es in Verordnung (EU) Nr. 1175/2011, die Teil des Sixpack ist, die Mitgliedstaaten sollen »die an sie gerichteten Leitlinien bei der Entwicklung ihrer Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Haushaltspolitik gebührend« berücksichtigen. »Die entsprechenden Fortschritte werden von der Kommission kontrolliert«. Und weiter: »Handelt ein Mitgliedstaat nicht entsprechend den an ihn gerichteten Leitlinien, so kann dies folgende Maßnahmen nach sich ziehen.« Diese weiteren Maßnahmen umfassen »weitere(n) Empfehlungen für spezifische Maßnahmen« und eine »Verwarnung durch die Kommission«. Dies ist keine besonders misslungene Stelle in den Gesetzeswerken, sondern eine durchschnittlich-typische. Die Ziele umfassen mit der Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Haushaltspolitik gleich das ganze Politikspektrum, die Zielerreichung wird vage mit gebührender Berücksichtigung beschrieben. Festgestellt werden entsprechende Fortschritte ohnehin von der Kommission, die sich so alle Freiheiten bewahrt. Die Sanktionen folgen nicht automatisch, sondern sie können verhängt werden und bestehen dann aus weiteren Empfehlungen oder einer Verwarnung. Die Möglichkeit einer Geldstrafe besteht zwar auch, aber sie ist eher hypothetisch.

Die Maßnahmen verfehlen ihr Ziel gleich auf zwei Ebenen: Sie scheitern daran, das Kernproblem der Schuldenkontrolle zu lösen, und verlassen sich auf Verfahren, die sich in der Vergangenheit als wirkungslos erwiesen haben.

Die hohen Defizite vor der Krise waren nicht unklaren Kriterien, ambivalenten Dokumentationspflichten oder fehlenden Fristen geschuldet, sondern schlicht dem Mangel an politischem Willen. Keine der Maßnahmen adressiert dieses Problem. Stattdessen wird der Stabilitätspakt ausbuchstabiert – so, als ob man ein Auto mit defekten Bremsen zu reparieren versucht, indem man Ölstand und Reifendruck prüft und die Scheibenwischer austauscht.

Auch das Verfahren wird nicht infrage gestellt. Im Gegenteil, es wird ausdifferenziert, verkompliziert und verunklart. Die Verfahren sind nun so komplex, die Indikatoren so vielschichtig, dass jeder Mitgliedstaat irgendeinen Schwellenwert überschreitet. Das mag gut fürs Betriebsklima sein – wenn alle sündigen, steht niemand am Pranger –, doch Anreize für niedrigere Defizite schafft dies nicht. Der große Interpretationsspielraum, der in die Verfahren eingebaut ist, belässt alle Beschlüsse in der politischen Sphäre, in den Verhandlungszirkeln Brüsseler Nachtsitzungen – also gerade in den Gremien, die sich in der Vergangenheit als unfähig erwiesen haben, die getroffenen Absprachen durchzusetzen.



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